Selbst entscheiden, was wann wo und wie gemacht wird
Sein eigener Chef sein, das ist für viele ein Traum. Doch da man dafür viel arbeiten und auch einige Risiken in Kauf nehmen muss, belassen es viele beim Träumen. Nicht so Joël Nadler, frisch gebackener Kaufmann EFZ . Er hat sich noch während der Lehre mit seinem besten Freund und langjährigen Weggefährten Nicolas Gajic selbständig gemacht und will hoch hinaus.
Gestern: Turnschuhe, dann Partys
Dass er nach der Lehre sein eigener Chef sein will, war ihm schon lange klar. Im jungen Teenagealter handelte er mit limitierten Sportschuhen. Danach begann er erfolgreich, für über 16-jährige Partys zu organisieren. Ein persönlicher Sinneswandel brachte ihn jedoch weg vom Party-Geschäft und mit seinem Kumpel zur Frage: Was machen wir als nächstes?
Auch seine ersten Fehler und Lehren konnte er bereits aus dem Party-Geschäft ziehen. «Grosse Versprechungen sollte man kritisch hinterfragen», meint er auf die Frage, was er anderen, die sich selbständig machen wollen, empfehlen würde. «Wenn man sich nicht zu hundert Prozent sicher ist und das eigene Umfeld einen warnt, sollte man darauf hören.»
Sein eigener Chef sein will er, weil er ein sehr ausgeprägtes Entrepreneur-Denken hat. Im Allgemeinen hat er viele Prozesse hinterfragt und Änderungen vorgeschlagen. Nur selten wurden sie umgesetzt. Deshalb fühlt er sich in den starren Unternehmensstrukturen nicht richtig aufgehoben. Als Selbständiger sind nicht alle Aufgaben vorgegeben und er kann selbst entscheiden, was er wann, wo und wie macht.
Aber, um zur Frage zurückzukommen, was als nächstes kommt: Das Nächste baut auf dem Vorangegangenen auf. Während ihrer Zeit als Party-Veranstalter kreierten die beiden Jungs auch eigene Werbung für ihre Events. Und wie sie feststellten, waren sie dabei erfolgreicher als andere. Das bedeutet: Mit dem investierten Geld generierten sie mit ihrem Content mehr Klicks und damit mehr Besucher für ihre Events. Und daraus entsprang ihre neue Idee.
Heute: Marketing-Agentur
Dazu kamen Kontakte zu Foto- und Videografen und anderen Kreativen. Und diese Kontakte nutzen sie nun für ihre neue Business-Idee: Eine Marketing-Agentur für Short Form Content und Content Management. «Aber nicht nur», meint Joël, «wir bieten auch Werbekampagnen, Webdesign, Fotografie und Videografie, Eventplanung und Marketing-Consulting an.»
Doch was grenzt sie von den vielen anderen Marketingagenturen ab, die es am Markt gibt? «Wir machen Content, der nicht wie mit einer Handykamera von Hand aufgenommen wirkt. Unser Content passt zur Marke des Unternehmens, das wir begleiten.» Zudem trennen sie klar zwischen den drei Inhalts-Kategorien Umsatzsteigerung , Brand-Awareness und Personalgewinnung.
Ihren Qualitätsanspruch zeigen sie in diesem Werbevideo für Arena Cinemas, aber auch am eigenen Beispiel. Wer auf LinkedIn das Unternehmensprofil der BGTM-Group – so heisst das Unternehmen nicht ganz unbescheiden – aufruft, dem werden die sauber ausgeleuchteten Studio-Videos sofort auffallen. Im betriebseigenen Marketing setzen die beiden Gründer auf die drei Säulen «owned», «earned» und «payed» Content, wobei sie natürlich auch Instagram und TikTok bespielen. Selbstverständlich nicht mit dem gleichen Content.
«Auf TikTok geht es mehr um den persönlichen Brand von uns, um unseren persönlichen Weg in die Selbständigkeit, auf LinkedIn ums Unternehmen.»
Keine Illusionen
Illusionen, dass ein bisschen Content zum grossen Auftrag führt, machen sich die beiden aber nicht. Dafür betreiben sie aktives Networking und gehen gezielt auf Unternehmensgründer zu, greifen aber auch zum Cold-Call oder nutzen Chancen für PR, wie mit diesem Artikel.
Illusionen macht sich Joël auch nicht, wenn es um Arbeit geht. Er weiss, dass es harte Arbeit ist, ein Unternehmen zu gründen und auf Erfolgskurs zu führen. Teil seines Sinneswandels war auch, dass er gemerkt hat, dass er mit Gamen und Party machen nicht dort hinkommt, wo er hin will. Sehr reif für einen damals unter 18-jährigen. Diese Reife merkt man ihm auch sonst an. Wie er auftritt, wie er spricht, wie er sich kleidet, unterscheidet ihn stark von den meisten seiner Altersgenossen.
Planung ist alles
Ob unter der Mehrfachbelastung während der Ausbildung, wo er bereits begann, selbständig tätig zu sein, nicht die Schule oder die Arbeit gelitten habe, wollte ich wissen. «Nein,» ist die klare Antwort, «aber es braucht viel Planung». Und tatsächlich: Gym, Meditation, Arbeit, Freizeit, ja sogar Schlaf sind klar eingeplant. Um 22 Uhr geht’s ins Bett, nach 5 Schlafzyklen zu 1,5 Stunden läutet wieder der Wecker. So viel Planung schränke doch ein. Ja, aber zur Erreichung der Ziele sei ihm dies wert. Die Freiheiten ergeben sich dafür später im Leben.
Apropos Schule: Den Sprachunterricht empfindet er als besonders nützlich für seine Zukunft, aber auch ein paar Themen aus dem Fach Wirtschaft und Gesellschaft helfen ihm in seiner Selbständigkeit. Themen aus der Buchhaltung kann er direkt anwenden und auch das Gelernte zu den Rechtsformen konnte er schon nutzen.
«Und was, wenn nichts daraus wird?», wollte ich abschliessend wissen. Die Antwort zeugt von Weitsicht. Sie hätten Rücklagen für das 1. Jahr, so lange geben sie sich Zeit. «Wenn wir unsere gesteckten Umsatzziele nicht erreichen, um uns den Lebensunterhalt zu finanzieren, wechseln wir zu Plan B.» Der dann lautet: Teilzeitarbeit in einem Unternehmen, in Teilzeit weiterhin am grossen Traum der Selbständigkeit dranbleiben. So schnell werden sich die beiden also nicht von ihrem Traum abbringen.
Ich wünsche den beiden Jungunternehmen viel Erfolg mit ihrer Marketing-Agentur BGTM-Group und werde in einem halben Jahr nochmals nachfragen, wie es denn so läuft.
Jan Bolliger
Lehrer Wirtschaft und Recht